Das Haus

Eine kurze Geschichte des Kreuzbergring 10 und 12

Die Häuser des Kreuzbergrings 10 und 12 wurden ca. 1902 errichtet und spielten spätestens ab den 70er Jahren eine wichtige Rolle innerhalb der linkspolitischen Stadtentwicklung Göttingens. Bis in die 1970er Jahre wurden die Häuser von Arbeiter*innen und Angestellte der Universität Göttingen bewohnt, die jedoch im Zuge des Baus eines neuen Universitätsgebäudes trotz der von seitens des Studentenwerks versprochenen Wohnperspektive ausziehen mussten. Den Auszügen folgte die Entscheidung beide Häuser abzureißen und sie bis dahin an Studierenden zu vermieten, denn diesen könnte bei kurzfristigem Beginn der Abrissarbeiten unkompliziert gekündigt werden. So bezogen im Frühjahr 1973 Studierende die stark sanierungsbedürftigen Wohnungen, die sie bereits ein Jahr später wieder verlassen sollten. Im Zusammenschluss mit anderen Häusern des Kreuzbergrings, die sich in ähnlicher Lage befanden und bereits Kündigungen erhalten hatten, wurde der Entschluss zur notwendigen Selbstorganisation getroffen. Getragen von Studierenden, aber auch nicht studentischen Familien und Arbeiter*innen entstand eine Mieter*inneninitiative, die die rechtliche Grundlage der Kündigungen, Bauvorhaben der Stadt und Universität sowie den Abrissgrund der Häuser hinterfragte. Allein durch diese kritischen Stimmen gelang es den Mieter*innen eine einjährige Verlängerung des Wohnverhältnisses auszuhandeln und Zeit für weiter politische Organisation zu gewinnen.

Als sich herausstellte, dass die Häuser einem vierspurigen Ausbau des Kreuzbergrings weichen sollten, der im Zusammenhang mit einer umfangreichen Stadtsanierung stand, vernetze sich die Mieter*inneninitative Kreuzbergring mit anderen wohnraumpolitischen Akteur*innen und vergrößerte so ihre Reichweite. Mit Hilfe von Flugblättern, journalistischer Öffentlichkeitsarbeit und Stadteilversammlungen entlarvten die Aktivist*innen das strategische Vorgehen des Studentenwerks, Häuser systematisch verfallen zu lassen, um anschließend einen unausweichlichen Abriss feststellen zu können. Diesem wiedersetzten sich Bewohner*innen und Unterstützer*innen erst rechtlich und letztendlich in Form einer aktiven Besetzung zur Verhinderung des drohenden Abrisses. Erst nachdem die Stadt die geplanten Baumaßnahmen für gescheitert erklärte und somit der Erhalt der Häuser vorerst gesichert war wurde die Besetzung für beendet erklärt. Das Mietverhältnis blieb durch halbjährliche Verträge und schleppende Sanierungsarbeiten jedoch prekär. Trotz allem wirkte sich der erfolgreiche Kampf um das Fortbestehen der Häuser maßgeblich auf ihre Mieter*innenstruktur und die damit einhergehende politische Zukunft aus. So wohnten in den umkämpften Häusern fortan überwiegend linkspolitische Menschen, die auch weiterhin auf ein solidarisches und selbstverwaltetes Wohnen bauten und die Vernetzung zwischen den einzelnen Häusern aufrechterhielten. Ab 2001 entstand so das Ringfest, ein linkes, subkulturelles Musikfest, das über Jahre hinweg Göttingens linke Subkultur prägte.

Das Ende des Ringfests steht symbolisch für einen Strukturwandel im Kreuzbergring, der sich in den letzten Jahre vollzog. Bis auf die Häuser 10 und 12 verloren alle anderen Wohngemeinschaften ihre Kollektivmietverträge, Einzelmietverträge führten zur Reduzierung politischer Zusammenschlüsse innerhalb der Häuser und schwächten geschaffene Strukturen. Erst als auch die verbliebenen Kollektivmietverträge weichen sollten kam es zu einem erneuten Zusammenschluss des Kreuzbergrings 10 und 12 mit anderen betroffenen Häusern in ganz Göttingen. Es entstand die „Here to stay“ Kampagne mit der erfolgreich der Versuch des Studentenwerks unterbunden wurden durch weitere Einzelmietverträge Mieterhöhungen und Umstrukturierungen vorzunehmen.

Bis zum Kauf der Häuser durch den Verein 2021 bestanden die Kollektivmietverträge fort. Ihr Erhalt, den zahlreichen vergangenen wohnraumpolitischen Kämpfen und der vehementen Forderung nach Selbstverwaltung zu verdanken ist, war Ausgangspunkt unseres Kaufprozesses. Es ist deshalb umso wichtiger die Geschichte linker Wohnraumpolitik nicht zu vergessen, wenn wir heute Orte linker Selbstorganisation schaffen wollen.

Innerhalb Göttingens reiht sich unser Projekt nun in eine Vielzahl an bereits realisierten oder sich im Prozess befindenden Hausprojekte ein, die gemeinsam bestehende Netzwerke erhalten und an der Entstehung neuer arbeiten, um eine langfristig linkspolitische Wohnstruktur in Göttingen aufrechtzuerhalten.